1. Einleitung

Steinwerkzeuge aus dem Frühtertiär und damit fast so alt wie Dinosaurier - eine glatte Unmöglichkeit. Denn nach heute vorherrschender Meinung lebten als erste Werkzeughersteller Australopithecinen und Habilinen, sogenannte Affenmenschen, erst am Ende des Tertiärs vor ca. 2,5 Millionen Jahren. Aus diesen ausschließlich in Afrika lebenden „Affenmenschen“ entstanden demnach die unbestritten ersten echten Menschen (Homo erectus), die sich vor ca. 1,8 Millionen Jahren am Übergang zum darauf folgenden jüngsten geologischen Zeitraum, dem Quartär, nach Eurasien ausbreiteten. Der geologische Zeitraum innerhalb des Quartärs, in dem diese frühe Phase der Menschheitsentwicklung stattfand, ist das Pleistozän (es wird wegen zeitweiliger Vereisungsepisoden in hohen Breiten populär auch als Eiszeitalter bezeichnet).

Demzufolge können Steinwerkzeuge außerhalb Afrikas kein vorpleistozänes Alter haben.

In diesem Buch werden jedoch Steinwerkzeuge aus dem Vorpleistozän besprochen, die nicht nur in den oberen, sondern auch in den mittleren und unteren Ablagerungen des Tertiärs entdeckt wurden, und zwar an verschiedenen Fundplätzen West- und Mitteleuropas von Portugal über Frankreich bis nach England, Belgien und Deutschland, aber auch außerhalb Europas. Es sollte also ein Leichtes sein, diese angeblich tertiären Werkzeuge, Eolithen genannt, mit guter Begründung rasch als Täuschung, als durch verschiedene Naturprozesse entstandene Bruchstücke einzustufen, oder nachzuweisen, dass ihre stratigrafische (zeitliche) Einordnung falsch ist.

Doch viele Entdecker und Befürworter dieser Eolithen, überwiegend erfahrene und anerkannte Forscher des 19. und angehenden 20. Jahrhunderts, waren fest davon überzeugt, Produkte denkender, planender und handwerklich begabter Wesen aus diesen alten Schichten vor sich zu haben. Sie erkannten mit Sorgfalt hergestellte und ergonomisch geformte Stücke für genau definierte Zwecke: Schneiden, Bohren, Sägen, Schaben, Kratzen, Hacken und Graben.
Kann man die Forschungsergebnisse dieser nüchternen, kritischen und um Sorgfalt bemühten Wissenschaftler leichthin verwerfen mit dem Argument, die heutigen Methoden seien den früheren hoch überlegen? Oder sind die alten Stücke durchaus einen zweiten Blick wert?

Angeregt durch die Lektüre des Buches Verbotene Archäologie von Michael A. Cremo und Richard L. Thompson, beschäftigte sich der Autor intensiv mit den Funden. Das Monumentalwerk Verbotene Archäologie erschien 1993 in englischer Sprache, 1994 in verkürzter und 2006 in vollständiger Ausgabe auf Deutsch, letzteres mit über 1000 Seiten. Aus einer Fülle überwiegend älterer Literatur, darunter zahlreiche Fachpublikationen, werden Hinweise auf die Existenz des Menschen zum Teil weit vor dem heute akzeptierten Auftreten in der Erdgeschichte aufgeführt mit Schwerpunkt auf Feuersteinwerkzeugen in tertiären Schichten.

Der Autor des vorliegenden Buches konzentriert sich auf Feuersteinwerkzeuge und lässt andere Hinterlassenschaften des Menschen wie seine leiblichen Überreste (Knochen) und bearbeitete Tierknochen außer Acht, da er der Überzeugung ist, nur die Werkzeuge und ihre Fundumstände sachkundig behandeln zu können.

Die Entdecker der tertiären Feuersteinwerkzeuge publizierten ihre Funde häufig in anerkannten Fachorganen, beginnend in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts bis in die 30er Jahre des folgenden Jahrhunderts und vereinzelt noch später. Auf vielen Prähistorikerkongressen wurde über diese Stücke diskutiert.

Die Lektüre einiger Originalarbeiten, insbesondere Die archaeolithische Cultur in den Hipparionschichten von Aurillac (Cantal) von Max Verworn aus dem Jahre 1905 und parallel das Studium moderner Fachliteratur führten den Autor rasch zu der Überzeugung, dass die Ablehnung sämtlicher tertiärer Steinwerkzeugfunde in der Sache nicht gerechtfertigt, sondern der Problemkomplex einer intensiven Beschäftigung wert ist. Ohne die immense Literaturrecherche von Cremo und Thompson hätte der Autor das Thema nicht bewältigen können.
Der Verfasser hat nahezu alle Arbeiten, auf die sich Cremo und Thompson berufen, ebenfalls studiert und kann bestätigen, dass die beiden Autoren gründlich und korrekt gearbeitet haben. Das vorliegende Buch enthält einige Passagen, die sich stark an Verbotene Archäologie anlehnen, erweitert aber den Rahmen um eine ganze Anzahl älterer Arbeiten und einige neuere Publikationen. Noch ausführlicher und detaillierter als bei Cremo und Thompson werden die Steinwerkzeugfunde dargestellt und diskutiert und mögliche natürliche Ursachen ihrer Entstehung behandelt.

Der Autor besuchte zahlreiche Museen und universitäre Einrichtungen in Europa und hatte dort Zugang zu vielen Originalfunden aus dem Tertiär, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind: 2004 und 2009 das British Museum (London) und das Maidstone Museum & Bentlif Art Gallery (Maidstone), 2004 die Ur- und Frühgeschichtliche Sammlung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Erlangen), 2004 und 2006 das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt - Landesmuseum für Vorgeschichte (Halle), 2005 das Museum für Ur- und Frühgeschichte Thüringens (Weimar) und das Institut royal des Sciences naturelles de Belgique (Brüssel), 2005 und 2007 das Musée d´Art et d´Archéologie (Aurillac), 2008 das Oxford University Museum of Natural History und 2009 die Sammlung des Seminars für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Dort hatte der Autor viele Eolithen in den Händen, unter anderem vom Kent-Plateau, East Anglia, Aurillac und Boncelles, und konnte eine ganze Anzahl von Exemplaren fotografieren und Abgüsse herstellen lassen.

Ferner nahm der Autor Kontakt mit Steinwerkzeugkennern aus England, Frankreich, Belgien und Deutschland auf, ohne deren fachliche Unterstützung das Buch nicht möglich gewesen wäre. Sie haben, ebenso wie der Autor selbst, auf seine Bitte hin mit Hilfe von Fotos und Zeichnungen den tertiären Steinwerkzeugen weitgehend ähnliche jüngere Werkzeuge (Bohrer, Spitzen, Schaber, Hackwerkzeuge usw.) zugeordnet und somit bestätigt, dass zumindest die Mehrzahl der tertiären Funde offensichtlich echte Werkzeuge sind. Auch Originalfotos und Abgüsse von tertiären Feuersteinfunden wurden beurteilt. Schließlich hat der Autor einer Anzahl tertiärer Steinwerkzeuge Abbildungen von ähnlichen Steinwerkzeugen aus der neueren Fachliteratur zur Seite gestellt. Der Leser kann sich somit selbst ein Bild davon machen, wie groß die Ähnlichkeit zwischen den tertiären Steinwerkzeugfunden und allgemein anerkannten jüngeren Steinwerkzeugen ist.

In diesem Buch geht es nicht darum, alle in Museen liegenden Eolithen als echte Werkzeuge zu verteidigen. Der Autor ist der Meinung, dass eine Anzahl dort gelagerter Stücke Naturprodukte oder zumindest fragliche Artefakte sind. Aber viele Eolithen, insbesondere die hier publizierten Stücke, weisen Merkmale echter Werkzeuge auf.

Auf breitem Raum werden in diesem Buch die tieferen Hintergründe dargelegt, die schließlich zur Ablehnung der tertiären Steinwerkzeuge durch die Wissenschaftsgemeinschaft geführt haben. Der Leser erhält Einblick in die Fairness und Qualität der Diskussion und ihre wissenschaftshistorischen Rahmenbedingungen.

Eine Akzeptanz von Steinwerkzeugen und damit der Existenz des Menschen im Tertiär hat erhebliche Auswirkungen auf unsere Vorstellungen von der Herkunft und Geschichte des Menschen. Die Forschungsgeschichte der Eolithen besitzt somit auch weltanschauliche Aspekte. Diese Fragen und die Konsequenzen einer Neubewertung der tertiären Funde werden ebenfalls im vorliegenden Buch angesprochen.

Nun ist der Leser eingeladen, sich selbst gründlich mit den Fakten zu beschäftigen.